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Forumbeiträge

Claudia Hagn
01. Okt. 2023
In Spannende Reisen zu Webereien
Es ist ratsam, diese kleine technische Einführung in die Jacquardweberei und meinen Anfang in der Textilbranche zu kennen, damit man den weiterführenden Reiseberichten thematisch besser folgen kann. Ich bemühe mich dabei, die Erklärungen so zu geben, dass sich auch Laien etwas darunter vorstellen können. :-) (Sie finden die Reiseberichte auch als Podcast auf Spotify oder hier auf der Webseite) Sie wundern sich vielleicht, warum ich die Überschrift "Wie kommt man als Frau zu so einem Beruf?" für das nachfolgende erste Kapitel gewählt habe. Vermutlich denken Sie, dass der Beruf des Textildesigners und Textiltechnikers grundsätzlich ein Frauenberuf ist. Das rührt daher, dass viele Menschen glauben, ein Textildesigner ist jemand der „Klamotten zusammennäht“.  Ich bin nun seit 30 Jahren in dieser Branche tätig und kann aus den vielen privaten Erfahrungen davon ein Liedchen singen, woran Menschen denken, wenn sie die Berufsbezeichnung Textildesigner / Textiltechniker hören. Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken darum, wie Stoffe entstehen. Stoff scheint es einfach so zu geben. Vermutlich fällt er vom Himmel. Wenn jemand etwas mit Textilien macht, ist es nach vielerlei Vorstellungen so, dass diese Person näht. Erst recht, wenn es sich um eine Frau handelt, die in diesem Tätigkeitsbereich zu Hause ist. Doch weit gefehlt! Das Gebiet Textil ist ein endlos großes Feld. Wir alle umgeben uns 24/7 mit Textilien aus allen möglichen Bereichen der Herstellung. Der Begriff Textil steht für den Stoff, also das Material, aus dem eine Fläche entstanden ist. Es steht nicht für die Konfektion.  Die Arbeit, die man als Textildesigner und Textiltechniker ausführt, findet in heutiger Zeit zu 100% am Computer statt. Dafür benötigt man spezielle CAD-Design-Anlagen, um die vorher kreierten Designs in technische Daten umzuwandeln. Damit steuert man die großen elektronischen Webstühle und Jacquardmaschinen an. Solche Berufsgruppen haben absolut nichts mit dem Nähen zu tun.  In der Praxis ist es so, dass die Textildesigner meist weiblich sind und die Textiltechniker überwiegend männlich. Letztere arbeiten eng mit der Produktion zusammen. Also mit der Weberei. Dort wiederum findet man fast ausschließlich Männer (vor allem in Ländern wie Indien, China, Türkei usw), denn es ist ein Beruf, der nicht ganz ungefährlich ist... (Ausnahmen der Geschlechter in den jeweiligen Berufsgruppen bestätigen die Regel. Ich bin so eine, denn ich bin in beiden Bereichen zu Hause.) So weit, so gut! Aber es geht noch tiefer, denn es gibt viele verschiedene Herstellungsverfahren und Möglichkeiten, Stoffe herzustellen und zu veredeln: gewebte, gestrickte, gewirkte Stoffe sind nur drei Beispiele daraus. Diese Techniken unterteilt man wiederum in weitere Felder.  Wir bleiben bei der Fachrichtung gewebte Stoffe, da ich eine Spezialistin in dieser Gruppe bin. Gewebte Stoffe kann man als einfache Schaftgewebe herstellen, die später meist nur stückgefärbt oder bedruckt werden. Wenn es hochwertiger sein soll, entscheidet man sich für Textilien aus der Jacquardweberei. Hier hat man die Möglichkeit, die Muster direkt am Webstuhl zu erzeugen, indem die Kett- und Schußfäden entsprechend miteinander verkreuzt werden... Mir ist bewusst, das Thema ist momentan noch sehr fachlich, aber damit Sie den Reiseberichten folgen und meine Einsätze in fernen Ländern besser verstehen können, muss ich einen kleinen fachlichen Einblick in die Materie geben. Halten Sie durch! Es wird bald thematisch lockerer. ...Fahren wir fort: Die Jacquardweberei ist die komplexeste Form, Gewebe herzustellen, da die Technik dafür sehr anspruchsvoll ist. Gelangt man an dem Punkt an, dass man diese Unterschiede erfasst hat, wird man feststellen, dass wiederum die Jacquardweberei in verschiedene Webtechniken unterteilt ist: Flachgewebe (für Bettwäsche, Mode, Dekostoffe), Frottiergewebe (für Handtücher, Bademäntel und Badematten), Lanziergewebe (für Gobelins) und Hohlgewebe (für Matratzenstoffe). Abgesehen davon, gibt es noch eine Vielzahl von technischen Geweben, die mit abgewandelten Bindungstechniken hergestellt werden. Es ist selten, dass jemand all diese Unterbereiche der Jacquardweberei beherrscht, denn die Herstellungsverfahren sind unterschiedlich, was daher rührt, dass die großen elektronischen Webstühle und Jacquardmaschinen individuell auf die einzelnen Webverfahren ausgelegt sind. Ein Textiltechniker, der eine Jacquardmaschine programmieren kann, damit beispielsweise ein hochwertiger Damaststoff entsteht, ist nicht automatisch in der Lage Frottiergewebe umzusetzen. Er muss sich erst mit der speziellen Webtechnik intensiv auseinandersetzen, bevor er Daten dafür anfertigen kann. Darüber hinaus ist es so, dass sich Textildesigner meist eher auf den kreativen Part konzentrieren und damit beschäftigt sind, ständig neue Stoffe und Kollektionen zu kreieren. Der Textiltechniker ist hingegen die Person, die diese Designs technisch für die Produktionsmaschinen umsetzt und webfertige Daten erstellt. Um Letzteres ausführen zu können, braucht man ein hohes Maß an technischem Verständnis und eine gute abstrakte Vorstellungsgabe, damit man das vorgegebene Design, den Wünschen des Textildesigners entsprechend, umsetzen kann. So, nun sind Sie gerüstet, in die nächste Folge mit mir zu gehen. Darin erzähle ich Ihnen endlich, wie ich es schaffte, mich als Frau in einer internationalen Männerdomäne zu etablieren. Wie ich sogar in Ländern wie Syrien, Türkei, China, Indien etc tätig wurde, um dort in den Produktikonsstätten auf eigenes Risiko zu arbeiten. Abonnieren Sie auch gerne die News dieser Forumsrubrik und melden Sie sich zum Newsletter an. So sind Sie immer auf dem neuesten Informationsstand. Ich freue mich über Ihre Likes und Kommentare. Bei Fragen, rund um das Thema, kontaktieren Sie mich mit einer Nachricht. (Sie finden die Reiseberichte auch auf Spotify-Podcast (https://podcasters.spotify.com/pod/show/claudia-hagn-textildesign)oder hier auf der Webseite)(https://www.textile-concepts.com/podcast)
Prolog - Einführung in die Materie Webereitechnik content media
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Claudia Hagn
24. Sept. 2023
In Spannende Reisen zu Webereien
Webstuhl mit darüber hängender Jacquardmaschine Bei mir ist es so, dass ich mich in zwei Welten bewege: Einerseits bin ich kreativ und verfüge über die Gabe des Zeichnens und Malens, andererseits faszinieren mich Maschinen und Programmierungen. Daher war für mich immer klar, dass ich beide Bereiche ausführen möchte: Den kreativen Part und den technischen. Abgesehen davon lerne ich gerne Neues und so war es mein großer Antrieb, möglichst alle Webtechniken zu erlernen, damit ich wirklich in jedem Fachbereich entwickeln kann. Um das zu erreichen, arbeitete ich nach meiner (mit „sehr gut“ abgeschlossenen) Ausbildung zum Textilmustergestalter Gewebe (heute Produktgestalter Textil) erst in einer mittelständischen Frottierweberei als Textildesignerin / Textiltechnikerin. Ich war für die Dessinierung und technische Entwicklung von Geweben und Stickereien zuständig. Es wurde mir recht schnell die Ateliersleitung zugeteilt, damit ich das Team der Designabteilung leiten würde. Danach wollte ich den Fachbereich wechseln und mein innigster Wunsch war es, bei der Dierig Holding AG in Augsburg anfangen zu können. Diese Firma war einstmals die größte Baumwollspinnerei Europas und nach den 1960ern wieder das größte Textilunternehmen Deutschlands. Mehr Infos zu der Firma findet man auf Wikipedia. Bei meinem Vorstellungsgespräch mit Herrn Christian Dierig, sagte ich ihm, dass ich das Ziel habe, das Studium als Textilingenieur on top zu legen. Bis ich mir diesen Schritt finanziell leisten könnte, würde ich gerne in seinem Betrieb tätig sein, denn ich möchte mich mit der Entwicklung von modischen Flachgeweben und Damasten auseinandersetzen. Er grinste kurz und sagte dann ganz lässig: „Wenn ICH Sie nehme, brauchen Sie das nicht mehr zu studieren. Gehen Sie lieber in die Welt hinaus und lernen Sie vor Ort! Dabei lernen Sie mehr, als im Hörsaal!“ Das fand ich äußerst beeindruckend, denn es entsprach meiner Abenteuerlust, die Welt zu entdecken. Zu meiner großen Freude bekam ich die Stelle und so kniete ich mich in die Materie der jacquardgewebten Herrenmodestoffe und Bekleidungsdamaste für Afrika.  Dies war Stufe eins meiner textilen Laufbahn. Schritt zwei sollte sein, dass ich unbedingt umfangreiche Auslandserfahrungen machen wollte. Ich bewunderte von jeher die Monteure der Maschinenhersteller, die oft in unsere Produktion kamen, um die Jacquard- und Webmaschinen zu prüfen. Sie bereisten die Welt und hatten so viele spannende Geschichten zu erzählen. Ich wünschte mir ebensolche Erfahrungen und ich brannte darauf, weiter zu lernen. Von Seiten meiner Familie hieß es wenig motivierend, dass ich ja „nur“ eine Frau wäre und das nicht tun könnte, denn es ist gefährlich, in solche Länder zu gehen. Auch meine Arbeitskollegen waren eher skeptisch, wie ich das realisieren könnte... Doch ich ließ mich nicht beirren und tüftelte weiter an meinem Plan: Mir war immer klar, dass ich eine Designanlage benötige, um international das perfekte Design- und Technikkonzept anzubieten. Noch während meiner Zeit, als ich bei der Firma Dierig arbeitete, wollte ich diese Investition tätigen. Ich wünschte, komplett einzutauchen, in diese spannende Welt der Textilherstellung, in der sich nur Männer bewegten und die auch heute noch - fast ausschließlich - von Männern geleitet wird. Ich wollte nicht gelten lassen, dass ich das alles nicht sehen und lernen könnte, nur weil ich eine Frau bin. CAD-Design-Anlage für die Jacquardweberei von Claudia Hagn Es war mir egal, wo diese Maschinen standen. Ich wollte dort hin, wo die Webstühle sind, und es war mir ein Bedürfnis, mehr zu wissen, über neue Webtechniken, ferne Länder und fremde Kulturen. Je abenteuerlicher und authentischer das Einsatzgebiet war, umso interessanter fand ich es.  1995 war es dann so weit und ich kaufte meine eigene CAD-Design-Anlage, um in der Lage zu sein, alle gängigen Jacquardmaschinen anzusteuern. Das war ein großer finanzieller Schritt. Die Anlage kostete damals umgerechnet (auf den heutigen Wert angepasst) € 60.000,--.  Ich werde nie vergessen, als ich, im zarten Alter von 24 Jahren, bei dem Jacquardmaschinenhersteller Große in Neu-Ulm im Besprechungsraum saß und mit den beiden strengen älteren Herren Grosse und deren Verkaufsleiter verhandelte, damit ich eine CAD-Design-Anlage von ihnen kaufen konnte. Ralf Große fragte mich: „Und Sie sind dann auch so eine brotlose Designerin, die während der *Heimtex in Halle 1 sitzt und hofft, dass jemand ihre Designs kauft?“ Ich antwortete bestimmt: „Nein! Ich werde dort niemals ausstellen! Ich gehe den Weg anders! Damit das gelingt, brauche ich eine Design-Anlage von Ihnen. Da Sie Jacquardmaschinen und CAD-Anlagen in die ganze Welt verkaufen, könnten Sie mich als Designerin und Technikerin anbieten, falls ein Kunde Hilfe bei der Erstellung der Kollektionen benötigt. Sie haben dann einen zusätzlichen Joker gegenüber Ihren Konkurrenten im Ärmel und ich habe einen Auftrag.“Sie sahen mich beide sehr skeptisch an, dann sagte der Bruder: „...Und sie glauben, dass Sie wiederkommen, wenn wir Sie - als junge blonde Frau - beispielsweise nach Syrien oder Pakistan vermitteln? Das können wir ja gar nicht verantworten!“ Ich blieb aber dabei und sagte: „Sie brauchen das nicht zu verantworten. Ich reise auf eigenes Risiko. Sie müssen mich nur empfehlen. Den Rest manage ich selbst. Sollte ich mal nicht mehr wieder kommen, ist es nicht Ihr Problem!“ Sie sahen mich mit großen Augen längere Zeit an. Schließlich stimmten sie zu. Anschießend musste ich um den Preis der Design-Anlage verhandeln, denn ich hatte nur einen mühselig selbst angesparten Bausparvertrag über € 25.000,--, den ich als Startkapital verwenden konnte. Um eine bessere Verhandlungsbasis zu haben, bot ich an, die Anlage als Vorführanlage für deren internationale Kunden bereitzustellen. Das bedeutet, wenn die Firma Grosse Kaufinteressenten für ihre CAD-Systeme hatte, konnten sie mit ihren Kunden in mein Büro kommen und ich demonstrierte wie die Anlage funktionierte. Zusätzlich offerierte ich, den Programmierern bei der Verbesserung der Software zu helfen, indem ich ihnen Verbesserungsvorschläge aus Sicht des Anwenders unterbreitete. Die drei Herren stimmten zu und gaben mir die Anlage zum halben Preis. Das war fantastisch! Die Gebrüder Grosse waren mir gegenüber so hilfreich, dass ich außerdem bei der Bezahlung, die erste Hälfte des Betrages als Anzahlung leisten und die zweite Hälfte in einem 3-jährigen zinslosen Ratenplan abbezahlen durfte. So blieb mir noch Geld, um die ebenfalls teuere Hardware zu kaufen. Als alles geregelt war und die Anlage schließlich bei mir zu Hause ankam, bin ich also - als junge blonde Frau - in die internationale, von Männern dominierte, Textiltechnik tief eingetaucht und habe trotz aller Widrigkeiten den Beruf meiner Träume vertieft. Wenn Sie wissen möchten, wohin es mich als Erstes verschlagen hat und was ich dort alles erlebte, dann lesen Sie unbedingt den nächsten Forumsbeitrag. Alternativ können Sie die Folgen auch als Podcast auf dieser Seite oder auf Spotify anhören. Abonnieren Sie auch gerne die News dieser Forumsrubrik und melden Sie sich zum Newsletter an. So sind Sie immer auf dem neuesten Informationsstand. Ich freue mich über Ihre Likes und Kommentare. Bei Fragen, rund um das Thema, kontaktieren Sie mich mit einer Nachricht. (Sie finden die Reiseberichte auch auf Spotify-Podcast (https://podcasters.spotify.com/pod/show/claudia-hagn-textildesign)oder hier auf der Webseite)(https://www.textile-concepts.com/podcast) Erklärung: *Die Heimtex ist die weltgrößte Heimtextilienmesse für Fachbesucher in Frankfurt. In Halle 1 saßen früher die Textildesigner und hofften darauf, ihre mühsam gezeichneten Entwürfe an Fachpublikum zu verkaufen. Das war oft traurig anzusehen, denn es steckte so viel Arbeit in deren Designs und es war so schwer, gut zahlende Käufer dafür zu finden. Heute sind sie in einer anderen Halle untergebracht. Die Arbeit für reine Textildesigner wurde mittlerweile noch härter.
Kapitel 1: Wie kommt man als Frau zu so einem Beruf? content media
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Claudia Hagn

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